Schuldenwirtschaft stand am Beginn der Weltwirtschaftskrise. Es gibt Parallelen zu heute.
Wie in einer griechischen Tragödie steuert die Weimarer Republik unter der Regierung Brüning auf die scheinbar unvermeidliche Wirtschaftskatastrophe zu. Die Krise mündet in einer weltweiten Depression und begünstigt den Aufstieg Hitlers. Tobias Straumanns Buch „1931: Debt, Crises and the rise of Hitler“ ist nicht nur eine akribische Analyse der Ursachen und des Verlaufs der damaligen Ereignisse. Der Leser partizipiert hautnah an den verzweifelten Bemühungen um die Abwendung der Krise. Dabei erfährt er viel über das Denken und Befinden einiger zentraler Akteure.
Anatomie einer Wirtschaftskrise
Die faszinierende Abhandlung ist mehr als nur Geschichte. Sie zeigt die Anatomie einer Wirtschaftskrise. Nicht zufällig publiziert Straumann sein Werk gerade heute. Die Geschehnisse erinnern ihn an die aktuelle Situation in Europa: „As in the 1930s, a doomed loop of activity involving sovereign debt, private debt, bank failures, and a deficient monetary system led to a financial crises that shook – and, in my view, continues to shake – Western Europe’s political foundations.“
Geschichte wiederholt sich nicht. Die Vorgänge in den Dreissigerjahren lassen keine konkreten Prognosen für die Zukunft zu. Weder steht ein neuer Hitler vor der Türe, noch droht die Welt in Schutt und Asche zu versinken. Dennoch sind in der Geschichte immer wieder ähnliche Muster erkennbar. Es ist Straumanns Verdienst, solche Muster mit Bezug auf eine Wirtschaftskrise anhand der Weimarer Republik fassbar und höchst anschaulich darzustellen.
Wirtschaftskrisen haben in aller Regel eine längere Vorgeschichte. Am Anfang steht oft die Akkumulation untragbarer Schulden. Während des ersten Weltkriegs türmten sich hohe Verpflichtungen Englands und Frankreichs gegenüber den USA auf. Mit überrissenen Reparationsforderungen an Deutschland suchten sich die Siegermächte möglichst schadlos zu halten. Als klar wurde, dass die resultierenden Lasten für die deutsche Bevölkerung auf die Dauer nicht tragbar waren, schuf man 1924 mit dem Dawes-Plan nur halbherzig Entlastung. Zudem kreierte seine konkrete Ausgestaltung unbeabsichtigte Anreize für eine zusätzliche Verschuldung privater deutscher Unternehmen. Die immer höhere Schuldenlast erzeugte eine zunehmend instabile Situation.
Trotz einzelner warnender Stimmen blieb die Gefahr den meisten Akteuren lange verborgen. Erst als sich die Ungleichgewichte in akuten Währungkrisen, massiver Arbeitslosigkeit, wankenden Banken, immer härterer Sparmassnahmen und steigender Not der Bevölkerung manifestierten, wurde man aktiv. In hektischen Konferenzen suchten Politiker und Wirtschaftskapitäne unter dem Druck der Strasse und aufstrebender Parteien an den extremen Rändern des Spektrums nach einem Ausweg. Ihre Ohnmacht und Verzweiflung kommt in einer Anekdote plastisch zum Ausdruck, in der sich zwei Unternehmensführer gar Stühle an den Kopf warfen. Die jetzt eiligst gefällten und kaum durchdachten Entscheidungen wirkten in einigen Fällen kontraproduktiv und liessen die Abwärtsspirale nur noch schneller drehen. Die Dynamik, die Geschwindigkeit und das Ausmass der Ereignisse wurden von den meisten Verantwortungsträgern systematisch und wiederholt unterschätzt.
Mehr als einmal stellt Straumann die Frage: Hätte man es besser machen können? Seine Antwort fällt nicht eindeutig aus. Natürlich waren verschiedene Massnahmen im Nachhinein ungenügend oder falsch. Doch unter Berücksichtigung der politischen Vorgeschichte, der aktuellen wirtschaftlichen Situation und des Drucks scheint fraglich, ob man die unheilvolle Entwicklung hätte aufhalten können. Die entscheidenden Fehler wurden vor der Krise gemacht. An vordester Front die Akzeptanz und Förderung einer masslosen Verschuldung. Erschwerend kam das durch den Goldstandard starre Währungssystem hinzu.
Déjà-vu
Vieles in dieser Chronik erinnert auch mich an Entwicklungen und Szenen der Finanz- und der immer noch schwelenden Schuldenkrise im Euroraum. Auch wenn im Unterschied zu den Dreissigerjahren das Schlimmste abgewendet werden konnte. Zumindest bisher. Bange denkt man bei der Lektüre an die ungebremst steigende Schuldenlast in grossen Ländern Europas, den USA und anderen wichtigen Staaten.
Was folgt daraus für uns als Anleger? Wir können nicht zuverlässig vorhersagen, ob, wann und welche Teile eines instabilen Schuldengebäudes eines Tages zusammenbrechen oder ob die notwendige Sanierung noch rechtzeitig erfolgt. Wir wissen auch nicht genau, wie sich eine allfällige Erschütterung fortpflanzt und entwickelt. Die Geschichte wiederholt sich nicht. Doch die Gefahr einer neuen Krise ist klar erkennbar. Als Anleger können wir uns darauf vorbereiten. Nicht mit exakten Prognosen, sondern mit echter Diversifikation. Damit machen wir unser Portfolio relativ robust gegenüber vielen möglichen Szenarien.