Politiker haben das Perpetuum mobile erfunden: Je üppiger sie Wähler und Interessengruppen aus der leeren Staatskasse beschenken, desto schneller sinken die Staatsschulden.
Die bahnbrechende Erkenntnis verbreitet sich unter Politikern derzeit wie ein Lauffeuer: Je höher ihre Ausgaben, je üppiger sie ihre Wähler aus der leeren Staatskasse beschenken, desto eher gesundet der aus den Fugen geratene Staatshaushalt.
Die Erkenntnis
Präsident Biden sagte es kürzlich so: „It’s not just that smart fiscal investments, including deficit spending, are more urgent than ever. It’s that the benefits will far surpass the costs. A growing number of top economists has shown even our debt situation will be more stable — not less stable — if we seize this moment with vision and purpose.“ Er begründete mit diesen Worten seinen Plan, mit (vorerst?) $1900 Milliarden die Wirtschaft zu retten.
Biden ist kein Revolutionär. Er argumentiert und handelt in der Tradition seiner Vorgänger. Nur die Summen werden grösser. Schon Jimmy Carter versprach, mit $20 Milliarden die Wirtschaft in Fahrt zu bringen. George W. Bush wollte die Erschütterungen der Finanzkrise mit $168 Milliarden abfedern. Unter Obama flossen mehr als $800 Milliarden. Trump wollte nicht nachstehen. Unter seiner Administration wurden $2200 Milliarden „Stimulus“ gesprochen.
Die Stabilisierungsprogramme stabilisieren die Staatsschulden so:
Auch auf dem alten Kontinent feiert das Perpetuum mobile Triumph auf Triumph. Die Einführung des Euro hatte man in Maastricht vor bald dreissig Jahren an maximale Staatsschulden von 60% der jährlichen Wirtschaftsleitung gekoppelt. Mit immer neuen Rettungs-, Stimulierungs- und Aufbauplänen sucht man dieses Ziel zu erreichen. Die Staatsfinanzen stabilisieren sich deshalb so eindrücklich wie in den USA:
Und auch Europas Regierungen und Parlamente verstärken ihre Anstrengungen laufend. €100 Milliärdchen hier. Dort verständigt sich der europäische Rat auf einen €750 Milliarden „Aufbauplan“. Die EU-Kommission will mit (vorerst!) €1000 Milliarden nicht nur das Klima retten und die Zukunftsfähigkeit Europas sichern, sondern – selbstredend – auch die Wirtschaft (und sonst noch allerlei) fördern. Ein Perpetuum mobile der Luxusklasse. Über die ungezählten Stimulierungspakete der einzelnen Staaten hat längst niemand mehr die Übersicht.
Selbst in die langsame Schweiz dringt der Duft des Schlaraffenlands. Forderungen nach Corona-Hilfen in „dreistelliger Milliardenhöhe“ ertönen immer lauter. Angesichts negativer Zinsen könnten wir uns das locker leisten, wird versichert. Der vielstimmige Ruf nach einer „Aussetzung“ der Schuldenbremse ist da nur folgerichtig. Und in der Nationalbank und ihren Gewinnen wird gerade ein weiteres, leistungsstarkes Perpetuum mobile entdeckt.
Die Mechanik
Wie funktioniert das sich selbst finanzierende Ausgabegerät? Die Konstruktion ist bestechend einfach:
1) Die grosszügige Verteilung von Checks und Gratisgeld an die Bevölkerung ermöglicht den Leuten mehr Konsum. Kluge Investitionen des Staates in kluge Infrastrukturprojekte fördern das Wachstum. Die clevere Subventionierung zukunftsträchtiger Technologien stärkt die Unternehmen der Zukunft. Die Wirtschaft wächst. Die Menschen verdienen, konsumieren, investieren mehr. Die Wirtschaft wächst stärker. Die Löhne und Gewinne steigen schneller. Die Steuereinnahmen sprudeln. Die Staatsschulden stabilisieren und verringern sich. Das ist das Perpetuum mobile.
2) Folgt die Realität ausnahmsweise nicht dem Plan der Politik, legen die Leute das Gratisgeld vorsichtshalber auf die hohe Kante statt mehr zu konsumieren, fliessen die Staatsausgaben versehentlich in bodenlose Fässer statt kluge Projekte, setzten weitsichtige Politiker auf Zukunftstechnologien ohne Zukunft, dann bleiben Wachstum und geplante Steuereinnahmen aus. Dann steigen die Staatsschulden statt zu sinken. Doch das schadet nicht: Dank negativer Zinsen führen höhere Schulden zu höheren Erträgen. Der Staatshaushalt stabilisiert sich, das Perpetuum mobile fährt weiter.
3) Und wenn die Zinsen eines Tages wieder stiegen? Die Schulden würden explodieren, Staaten kämen in Zahlungsschwierigkeiten. Das lassen die Zentralbanken niemals zu. Die Zinsen würden noch weiter gesenkt, die Staatsausgaben noch stärker durch die Notenpresse finanziert. Der Rubel rollt.
4) Die Finanzierung von Staatsausgaben durch Notenbanken im grossen Stil endete früher regelmässig in hoher Inflation. Das gilt nicht mehr. „Don’t worry about inflation“, entwarnt Paul Krugman, ein prominenter Konstrukteur des Perpetuum mobiles. „We can run a ‚hot‘ economy, with low unemployment and large budget deficits, without runaway inflation“. Der Rubel rollt schneller. Wir sind im Paradies.
Skeptiker, Leugner, Partisanen
Doch selbst im Paradies tummeln sich Skeptiker und Partisanen. Das Perpetuum mobile sei eine Fata Morgana, schwurbeln sie. Die Konstruktion funktioniere nicht, sie widerspreche den Naturgesetzen der Ökonomie. Die immer massloseren Staatsausgaben seien gar gefährlich und könnten eines Tages in eine ernste Krise münden.
Wie begründen die Leugner des Perpetuum mobiles ihre teuflischen Theorien? Und was bedeutet das für Anleger wie Sie? Fortsetzung folgt.