Marktpreise signalisieren kritische Entwicklungen und Risiken oft bevor Manager, Experten und Aufsichtsbehörden diese erkennen. So auch im Fall der Crédit Suisse. Die Zeichen der Finanzmärkte zu ignorieren, ist leichtfertig und dumm.
„Die Credit Suisse ist noch immer gut kapitalisiert, und es verbleibt viel Substanz in der Bank. Der Buchwert der CS beträgt weiterhin mehr als 40 Milliarden Franken“, verkündete die NZZ noch nach dem Untergang der Bank. Ähnliche Aussagen machten die FINMA, die Nationalbank, der Bundesrat und zahlreiche Experten.
Diese Einschätzungen sind realitätsfremd. Sie sind ein Schulbeispiel für Selbstüberschätzung von Experten, ein Musterfall törichter Ignoranz. Viel zu sehr verliessen sich die Verantwortlichen auf die eigenen, unvollständigen bis unbedarften Analysen. Naiv verliess man sich auf die vom Management ausgewiesenen Zahlen. Unkritisch plapperte man nach, was die Bank in ihrer Bilanz deklarierte. Die unübersehbaren Signale der Finanzmärkte wurden leichtfertig ignoriert.
Der Aktienkurs der Crédit Suisse signalisierte schon seit Jahren, dass die in den Geschäftsberichten publizierten Zahlen mit Skepsis zu interpretieren waren, dass die ausgewiesenen Eigenmittel den wirtschaftlichen Tatsachen kaum noch entsprachen. Seit 2013 lag das „price to book ratio“, das Verhältnis von Börsenwert zu ausgewiesener Kapitalisierung, permanent unter 1, bei abnehmender Tendenz. Das bedeutet, dass die Märkte den publizierten Zahlen misstrauten. Die Preisentwicklung einer Aktie ist ernst zu nehmen, denn die Börsen, diese Wundermaschinen der Informationsverarbeitung, widerspiegeln die verfügbaren Informationen fast immer schneller und umfassender als die Buchhaltung und Expertenanalysen.
Besonders in Stresssituationen sind Bilanzzahlen mit Vorsicht zu geniessen. Erstens sind sie vergangenheitsbezogen und reflektieren aktuelle Entwicklungen verzögert. Zweitens unterliegt die Bewertung vieler Positionen einem beträchtlichen Ermessensspielraum, der vom Management zu seinen Gunsten genutzt werden kann. So können Immobilien, Rückstellungen für Prozesskosten und Bussen oder die zu erwartenden Kreditausfälle nur unter mehr oder weniger willkürlichen Annahmen geschätzt und somit gezielt gesteuert werden.
Wie eine interessante Analyse von Pascal Böni und Heinz Zimmermann eindrücklich zeigt, gab es im Fall der Crédit Suisse auch in weiteren Segmenten der Kaptialmärkte unmissverständliche Zeichen. Die alarmierenden Preisentwicklungen hätten den Verantwortlichen spätestens ab September 2022 auffallen und sie zum Handeln veranlassen müssen.
Die an den Tag gelegte Ignoranz der Verantwortungsträger und vieler Experten ist erschreckend, aber doch nicht völlig überraschend. Immer wieder neigen Sachverständige dazu, ihr eigenes Wissen grob zu überschätzen und widersprechende Meinungen und Signale arrogant und besserwisserisch vom Tisch zu wischen. Leichtfertig erklären Fachleute Marktentwicklungen für irrational, wenn sie diese aufgrund ihres beschränkten Erkenntnisstands nicht nachvollziehen können. Statt sich demütig und unvoreingenommen zu fragen: Wissen andere Marktteilnehmer vielleicht mehr als ich? Ist meine Analyse womöglich unvollständig oder falsch?
Es gibt oft persönliche Gründe, Warnzeichen zu ignorieren. Eitelkeit und Selbstüberschätzung spielen eine Rolle. Und Bequemlichkeit: Wer anerkennt, dass die Finanzmärkte eine prekäre Situation signalisieren, darf nicht länger zuschauen und warten. Er ist gezwungen, Fehler einzugestehen und zu handeln. Das ist für Manager, Verwaltungsräte und Aufsichtsbehörden höchst unangenehm. Und schliesslich geht es um die Berechtigung der eigenen Existenz. Gibt ein Experte zu, dass der Markt mehr weiss als er, relativiert er seinen Nutzen. Eine FINMA, die sich vermehrt an frei verfügbaren Marktdaten orientierte, statt auf unergiebiges Mikromanagement und Detaillanalysen zu setzen, müsste ihre riesige Analysten- und Kontrollarmee massiv reduzieren.
Der PARTISAN beschäftigt keine Analystenarmee. Wir hüten uns deshalb zu glauben, wir seien besser informiert als der Markt. Dessen Signale nehmen wir ernst, so unverständlich sie auf den ersten Blick oft scheinen. Immer wieder fragen wir: Was steckt hinter einer unerwarteten Preisbewegung? Offenbart sie vielleicht eine wichtige Entwicklung, ein Risiko, das wir bis anhin übersahen? Und falls ja: Können wir es ohne übermässige Kosten reduzieren, diversifizieren? Nicht weil uns mehr Informationen als den Behörden zur Verfügung standen, hatten wir unsere Positionen in CS-Produkten schon vor Monaten und Jahren schrittweise reduziert. Nur unsere Augen hatten wir nicht verkrampft geschlossen, die immer deutlicheren Warnsignale der Börsen hatten wir nicht ignoriert.