Die zweite Säule wankt. Aber wie stark? Die Aussagen sind widersprüchlich, die Prämissen dahinter werden verschleiert. Was wissen wir? Wie ist die Lage?
Sagen wir es unverblümt: Pensionskassen entfernen sich seit Jahren immer weiter von ihrer ursprünglichen Idee des organisierten, individuellen Sparens (Kapitaldeckungsverfahren). Sie mutieren zu Institutionen der Vermögensumverteilung im grossen Stil.
Die Letzten beissen die Hunde
Wer profitiert, ist klar: Die heute gesprochenen Renten liegen weit über dem Niveau, das sich mit dem individuell angesparten Kapital finanzieren liesse. Wer dafür am Ende aufkommen wird, wissen wir hingegen noch nicht. Die Pensionskassen tendieren zu einem Ponzisystem. Die letzten beissen die Hunde: Heute aktive Beitragszahler oder eine noch gar nicht ins Berufsleben eingetretene Generation werden die rasch wachsende Rechnung dereinst begleichen.
Wie ist es dazu gekommen? Vordergründig verantwortlich für die Entwicklung sind zwei anhaltende Tendenzen: Zum einen resultieren aus der zunehmenden Lebenserwartung bei unverändertem Pensionsalter und garantierten Renten immer höhere Verpflichtungen für die Kassen. Zum andern schrumpfen mit den seit Jahrzehnten sinkenden Zinsen die Anlageerträge, die zur Finanzierung der Renten früher massgeblich beigetragen haben.
Unmögliche Gesetze
Das tiefere Problem ist jedoch ein anderes: Das Gesetz garantiert Mindestansprüche, die es nicht garantieren kann. Dazu zählt eine politisch festgelegte Mindestverzinsung des Vorsorgekapitals, der garantierte Umwandlungssatz für den obligatorischen Teil des Vorsorgevermögens von 6.8% sowie die gängige Rechtsauslegung, dass einmal gesprochene Renten nicht mehr gekürzt werden dürfen.
Ebenso gut könnte man Obstbauern per Dekret verpflichten, jährlich eine bestimmte Menge Äpfel zu ernten, ganz unabhängig von Wetterkapriolen oder Schädlingen. Wie stark die Volkswirtschaft wächst, welche Rendite der Kapitalmarkt hergibt, liegt so wenig im Entscheidungsbereich der Politik wie die Fruchtbarkeit der Apfelbäume.
Lange waren die unmöglichen Versprechen kein Problem. Dank hoher Zinsen und Renditen lagen die Kapitalerträge regelmässig über dem vorgeschriebenen Niveau. Und gab es einmal ein schlechtes Börsenjahr, konnten die Verluste durch Reserven aus früheren Überschüssen gedeckt werden.
Die Situation hat sich geändert. 2019 wurde gemäss einer repräsentativen Erhebung ein durchschnittlicher Umwandlungssatz (obligatorischer und überobligatorischer Teil) von 5.6% appliziert. Die durch die Pensionierten selbst finanzierbare, jährliche Rente liegt bei der heutigen Lebenserwartung und dem aktuellen Zinsniveau aber nur noch bei ca. 3.5% des individuell angesparten Kapitals. Mit anderen Worten: Gegen 40% dieser Renten müssen durch die aktiven Beitragszahler finanziert werden. Weil mit der Pensionierung der Babyboomer zudem der Anteil der Rentner rasch steigt, fällt diese Belastung immer stärker ins Gewicht.
Viele werden diese Berechnung bestreiten. Statt mit risikolosen Zinsen von ca. -0.7% p.a. kalkulieren sie mit einer langfristig erwarteten Rendite auf dem Kapital von jährlich 2% oder mehr, was wesentlich höhere Renten rechtfertigt. Doch sie verschleiern, dass eine solche Rendite nur unter Inkaufnahme von Risiken zu erzielen ist. Weil die Renten auch im Fall von Verlusten nicht gekürzt werden, tragen die Berufstätigen diese Risiken, ohne dafür entschädigt zu werden. Das ist versteckte Umverteilung.
Und die Anlagerisiken steigen. Unter dem Druck tiefer Zinsen und versiegender Ertragsquellen legen die Kassen ihre Gelder immer aggressiver an. Der Anteil an Aktien, Immobilien, Obligationen minderer Kreditqualität und „alternativer“ Anlagen wie Hedge Funds nimmt zulasten sicherer Obligationen seit Jahren zu, wie etwa die Studie von Complementa zeigt.
Wen beissen die Hunde?
Man muss damit rechnen, dass sich diese Risiken früher oder später materialisieren, etwa im Zuge der nächsten Wirtschaftskrise. Grosse Verluste auf ihren Anlagen könnten zahlreiche Kassen stark unter den gesetzlich verlangten Deckungsgrad drücken. Dann drohen Sanierungen auf dem Buckel der aktiven Generation. Oder andere, politisch induzierte Umschichtungen.
Die ausgewiesenen, meist hohen Deckungsgrade sind übrigens eine Illusion. Sie beruhen auf einer asymmetrischen Bewertung der Aktiven und der Verpflichtungen der PKs. Die Anlagen werden korrekt zu ihrem Marktwert bilanziert. Die Verpflichtungen aus künftigen Renten werden dagegen mit überhöhten, nicht marktgerechten Zinsen diskontiert. Man kann es legale Bilanzfälschung nennen. Die nach ökonomischen Prinzipien berechneten Deckungsgrade liegen in der Regel wesentlich tiefer.
Für jeden, der noch arbeitet, lautet die entscheidende Frage: Werde ich von der laufenden Umverteilung noch profitieren? Und wenn ja, wie stark? Oder gehöre ich bereits zu den Verlierern des Ponzi-Systems und werde gebissen? Die Antwort hängt von mehreren Faktoren ab. Wir gehen in einem der nächsten Beiträge darauf ein. Soviel vorweg: Die Hunde könnten manch einem näher auf den Fersen sein, als er glaubt.
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