Wir sollten Sokrates mehr Beachtung schenken.
Im Januar 2020 prognostizierte das World Economic Forum (WEF) die aus seiner Sicht aktuell grössten, globalen Risiken:
1. Econonomic Confrontations
2. Domestic political polarization
3. Extreme heat waves
4. Destruction of natural ecosystems
5. Cyberattacks on infrastructure
6. Protectionism on trade/investment
7. Populist and nativist agendas
8. Cyberattacks: theft of money/data.
9. Recession in a major economy
10. Uncontrolled fires
Selbstverständlich. Diese Risiken existierten. Niemand will das bestreiten. Es ist richtig und wichtig, erkannte Risiken zu benennen. Etwas fällt allerdings ins Auge: Eine Pandemie war für das WEF im Jahr 2020 kein nennenswertes Risiko.
Auch zu Beginn des Jahres 2021 wurden die grossen Risiken publiziert. Die Einschätzung änderte sich radikal. An erster Stelle stand nun „Infectious diseases“. Selbstverständlich. Etwas fällt allerdings ins Auge: Steigende Inflation war für das WEF im Jahr 2021 kein erwähnenswertes Risiko.
Was sagt uns das?
Erstens sind die Koryphäen vom WEF – wie die meisten von uns – ziemlich unbedarft, wenn es darum geht, weitreichende Ereignisse, Strukturbrüche, grosse Risiken zu prognostizieren. Entscheidende Geschehnisse und Entwicklungen werden allgemein selten im Voraus erkannt. Meines Wissens wurde weder die Finanzkrise 2008, die Terroranschläge von 9/11, der jähe Zerfall der Sowjetunion, die Erdölkrise in den 70er Jahren, die Katstrophe des ersten Weltkriegs, die französische Revolution noch die Reformation mit ihren gewaltigen Folgen vor ihrem Auftreten als Möglichkeit, geschweige denn als grosses Risiko breit gehandelt. Und wenn es vereinzelt warnende Stimmen gab, wurden diese kaum gehört.
Zweitens sind die Koryphäen vom WEF – vielleicht stärker als die meisten von uns – von Tagesaktualitäten beeinflusst. Streitet Präsident Trump gerade öffentlichkeitswirksam mit China, wird in „Econonomic Confrontations“ das gösste Risiko gesehen. Kaum ist das Thema unter der erdrückenden Dominanz von Corona für ein paar Monate aus den Schlagzeilen gewichen, verschwindet es auch aus dem Fokus des WEF. Zeigen die Nachrichten während ein paar Wochen brennende Wälder, steigen lokale Feuersbrünste für das WEF unversehens in die Top-10 der globalen Risiken auf. Wetten, dass Inflation – nachdem sie für jeden ersichtlich wurde – ganz oben im Global Risks Report 2022 auftauchen wird?
Wir sollten uns aber fragen: Was steht nicht auf der Liste? Denn es ist mit den globalen Risiken ähnlich wie beim Bergsteigen: Selten stürzt jemand ab, wo die Gefahr offensichtlich ist. Dort ist man konzentriert und auf der Hut. Unfälle ereignen sich, wo man sie nicht erwartet. Wenn man nicht merkt, nicht weiss, dass es gefährlich ist.
Das Orakel von Delphi erklärte Sokrates als den Weisesten unter den Sterblichen. Weil dieser aber wusste, dass er nur sehr wenig weiss, zweifelte er am Orakel und versuchte es zu widerlegen. Dazu befragte er die klügsten Gelehrten, Staatsmänner, Handwerker und Künstler nach ihrem Wissen. Enttäuscht stellte er fest, dass diese sich zwar viel auf ihr Wissen einbildeten und sich anmassten, anderen die Welt zu erklären. Einer genaueren Prüfung hielt das Wissen dieser Leute aber nicht stand. Es war mehr Schein als Sein. Sokrates erkannte seine eigene, überlegene Weisheit im Bewusstsein, nicht zu wissen. Das Orakel hatte recht.
Das eigene Wissen, seine seherischen Fähigkeiten nicht zu überschätzen, ist viel wert. Wer sich eingesteht, den Gang der Welt nur höchst unzuverlässig voraussagen zu können, kann sich auf Überraschungen einstellen, zumindest bis zu einem hohen Grad. Denn etwas dürfen wir als gesichertes Wissen betrachten: Mit Überraschungen ist auf dieser Welt immer zu rechnen.
Wie kann man sich auf das Unbekannte, das Unvorstellbare vorbereiten? Zwei Strategien sind bekannt:
- Reserven ermöglichen, unerwartete Engpässe, Schwierigkeiten, Krisen durchzustehen. Für Unternehmen gilt es etwa, angemessene Lagerbestände, Kapital- und Liquiditätsreserven zu halten. Firmen, die schon nach wenigen Monaten Corona Konkurs oder Staatshilfe beantragen mussten, Fabriken, die schon bei den ersten Lieferverzögerungen ihre Produktion stilllegten, hatten ihr Nichtwissen unterschätzt. Sie hatten sich auf den unwahrscheinlichen Fall eingestellt, dass ihr Geschäft immer mehr oder weniger störungsfrei weiterlaufen würde. Sie verliessen sich auf ihre beschränkte Vorstellungskraft.
- Auch Diversifikation schützt vor bösen Überraschungen. Denn kein Ereignis trifft alle Länder, Märkte, Branchen, Firmen oder Kunden gleich stark. Unternehmen, die ihre Lieferanten, Produktionsstandorte, Absatzmärkte diversifizieren, sind für den Fall der Fälle besser gerüstet. Allerdings können Unternehmen nur beschränkt diversifizieren, weil gerade ihre Spezialisierung und Fokussierung meist ihr wichtigster Konkurrenzvorteil ist. Ganz anders sieht es für Anleger aus. Dank hoch entwickelter Kapitalmärkte können Vermögen heute zu sehr geringen Kosten in Unternehmen zahlreicher Sektoren, in Immobilien unterschiedlicher Länder, in Obligationen vieler Schuldner und in weitere Aktiva angelegt und diversifiziert werden.
Das sind auch die einfachen Rezepte des Partisan. Er investiert bevorzugt in Unternehmen und Schuldner, die so weise wie Sokrates sind und um ihr beschränktes Wissen wissen. Die anerkennen, dass die Welt schwer prognostizierbar ist und auf Überraschungen angemessen vorbereitet sind. Und der Partisan diversifiziert: Im Wissen, dass wir auch über die nächste Krise wenig bis nichts wissen können. Ausser, dass sie kommt. Im Bewusstsein, dass einzelne Firmen, womöglich ganze Branchen untergehen, dass leichtsinnige Schuldner zahlungunfähig, dass überschuldete Staaten zahlungsunwillig und aggressiv werden können. Und in der Gewissheit, dass die Welt deshalb nicht untergeht. Im Wissen, dass auch aus der nächsten Krise viele Unternehmen gestärkt hervorgehen werden, vor allem solche mit Reserven.
Das im Konkurrenzvergleich erneut gute Abschneiden des Partisan führen wir also nicht auf unsere Prognosefähigkeit zurück. Ganz im Gegenteil: Das Wissen um unser beschränktes Zukunftswissen erspart uns zahlreiche, auf falschen Prognosen basierende Transaktionen. Und damit wesentliche, von vielen Konkurrenten stark unterschätzte Kosten.