Boomende Finanzmärkte und tiefe Zinsen erhöhen die Gefahr von Klumpenrisiken.
Diversifikation ist die älteste und wirksamste Methode des finanziellen Risikomanagements. Gezielte Streuung der Risiken verhindert, dass im Schadensfall alle Vermögensbestandteile gleichzeitig schwinden. Nichts ist in der Theorie so unbestritten. Umso erstaunlicher ist, wie oft dieses fundamentale Prinzip oberflächlich und unzweckmässig angewandt wird, gerade auch von Finanzexperten.
«Nicht alle Eier in denselben Korb legen » lautet die gängigste Anleitung zur Risikostreuung. Ist sie auch zweckmässig? Nur, wenn die Körbe nicht von derselben Person getragen werden! Eier auf zwei Körbe zu verteilen nützt wenig, wenn bei einem Sturz beide zu Boden fallen.
Eier, Körbe und Banker
Genau diesen Fehler begeht so mancher Bankangestellte, der sein privates Vermögen in zahlreiche Wertpapiere anlegt, als Depotstelle jedoch den eigenen Arbeitgeber wählt. Sollte dieser in Konkurs gehen, kumulieren sich die Risiken. Gefährdet sind dann nicht nur Arbeitsstelle und Teile der Pensionskasse, sondern auch Bankguthaben und Wertschriftenbestand.
Auch wenn es um die Vermögen ihrer Kunden geht, handeln Banken nicht immer umsichtig. Einige prominente Vermögensverwalter empfehlen risikoscheuen Anlegern reine Obligationen-Portefeuilles. Die Kreditrisiken werden dabei bestens diversifiziert. Die in einer Zeit weltweit hoher Staatsverschuldung und unkonventioneller Geldpolitik klar erkennbare Inflationsgefahr wird indessen ausgeblendet. Steigende Preise erodieren nicht nur die Kaufkraft der Obligationen, sondern ebenso den realen Wert der Renten aus AHV und Pensionskasse.
Zur Konzentration von Risiken führt auch die Tendenz, Obligationen hoher Bonität durch Anleihen geringer Qualität zu ersetzen. Letztere erleiden in wirtschaftlich schwierigen Zeiten typischerweise massive Werteinbussen, parallel zu Aktien, Immobilien und gewissen Hedge Funds. Der Diversifikationseffekt wird damit just in jener Situation geschwächt, in der er am dringendsten benötigt würde.
Anleger und Vermögensverwalter sind sich der ungenügenden Diversifikation oft nicht bewusst, weil sich die damit verbundenen Risiken relativ selten manifestieren. Auch in gängigen statistischen Massen wie Volatilität oder Value at Risk bleiben diese meist unter dem Radar. Tritt ein Schadenereignis aber ein, können die Verluste enorm sein. Während der Finanzkrise 2008/09 mussten das viele Anleger schmerzhaft erfahren, als angeblich hervorragend diversifizierte Portfolios plötzlich massive Wertminderungen auf den meisten Positionen erlitten.
In Phasen der Hochkonjunktur und boomender Finanzmärkte ist das Gedächtnis aber kurz. Zudem verlocken tiefe Zinsen heute mehr denn je, in Wertpapiere mit erhöhter Rendite zu investieren. Die Frage, warum eine bestimmte Anlage besser rentiert, wird gerne verdrängt oder mit obskuren Begründungen übertüncht.
Die Antwort wäre aber einfach und gilt fast immer: Höhere Renditen stehen für erhöhte Risiken oder für Risiken, die niemand will. Ein typisches Beispiel für letzteres sind Anleihen tiefer Bonität, die unter normalen Umständen zwar zuverlässig rentieren, aber gerade dann stark an Wert verlieren, wenn auch andere Vermögensteile schrumpfen, das Haus unverkäuflich wird und die Arbeitsstelle gefährdet ist: während einer schweren Rezession.
Krisenwirksam
Diversifikation brauchen wir vor allem in schwierigen Zeiten. Darauf sollte sie ausgerichtet sein. Risikostreuung, die nur unter gewöhnlichen Umständen wirkt, ist vergleichbar mit einer Versicherung, die ausgerechnet im grössten Schadensfall zahlungsunfähig wird, weil Schäden gleichzeitig zu Tausenden auftreten – etwa bei einem starken Erdbeben oder während
einer Wirtschaftskrise.
Letzteres passierte 2009 dem weltgrössten Versicherer. AIG hatte Kreditrisiken im grossen Stil auf ihre Bücher genommen. Die sich in der Finanzkrise kumulierenden Ausfälle waren für den Versicherer nicht zu verkraften. Auch dieses Beispiel zeigt, dass der Einschätzung von Finanzexperten nicht blind vertraut werden sollte. Gesunder Menschenverstand ist ausgeklügelten Methoden des Risikomanagements nicht selten überlegen.
(Zuerst publiziert in Finanz und Wirtschaft, 22. August 2015)