Die euphorische Reaktion der Aktienmärkte im Euroraum auf Frankreichs ersten Wahlgang ist erschreckend. Sie weist über die momentane Erleichterung darauf hin, dass ein einzelner Politiker die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Währungsunion gefährden könnte.
Der erste Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen bestätigte ziemlich genau die Prognosen der letzten Umfragen vor den Wahlen:
Die Reaktion der Aktienmärkte am Tag nach den Wahlen ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Angesichts der Übereinstimmung von Prognosen und Resultat überrascht zum einen das Ausmass der Kursgewinne. Bereits Antizipiertes lässt die Finanzmärkte in der Regel unberührt. Zum andern verzeichneten nicht nur französische Firmen massive Kursgewinne. In der gesamten Eurozone stiegen die Aktienmärkte gleichermassen euphorisch. Unternehmen ausserhalb der Eurozone waren dagegen weniger betroffen.
Was steckt hinter diesen ungewöhnlichen Marktreaktionen? Und was sind die Implikationen?
Die starken Kursbewegungen trotz Eintreffen der Wahlprognosen können mit dem Abbau von Unsicherheit erklärt werden. Vor der Wahl trauten viele Menschen den Umfragen nicht. Nach den jüngsten Erfahrungen in Grossbritannien (Brexit) und den USA (Trump) sollte dies nicht weiter erstaunen. Die Bestätigung der Umfragen reduzierte deshalb die Ungewissheit. Die folgende Grafik beweist das deutlich. Sie zeigt die aus Wettquoten abgeleitete Wahrscheinlichkeit, dass Le Pen zur Präsidentin gewählt wird. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Wahlresultate fielen die Chancen Le Pens in den Augen der Märkte von 27% auf 15%. Entsprechend verbesserten sich die Aussichten Macrons auf 85%.
Warum die Aktienpreise in anderen Euroländern im Gleichschritt mit den französischen Valoren stiegen, ist weniger klar. Das wirtschaftsfeindliche, sozialistisch geprägte Wahlprogramm Le Pens kann dafür nicht die Hauptursache sein. Italienische, spanische oder deutsche Unternehmen sind von der französischen Innen- und Wirtschaftspolitik nur am Rande betroffen. Die ungleich stärkeren Kursgewinne der Aktien im Euroraum im Vergleich zu den Märkten ausserhalb der Währungsunion lassen vermuten, dass die Marktreaktion in Zusammenhang mit dem Euro steht. Im Gegensatz zu Macron und Fillon propagierte Marine Le Pen den Austritt aus dem Eurosystem. Die Konsequenzen eines solchen Schrittes Frankreichs – dem neben Deutschland gewichtigsten Mitglied – sind kaum abschätzbar. Der Euro würde insgesamt in Frage gestellt. Die wirtschaftlichen Folgen für sämtliche Euroländer wären gewaltig. Massive Verwerfungen an den Devisenmärkten gingen einher mit dem unvermittelten Wegfall enormer Umverteilung zwischen den Eurostaaten durch die aktuelle Politik der europäischen Zentralbank. Staatsbankrotte und erhebliche Spannungen zwischen den Mitgliedern der Währungsunion mit allen wirtschaftlichen Konsequenzen wären zu befürchten.
Die Kursgewinne nach den Wahlen lassen quantitative Rückschlüsse auf die erwartete Grössenordnung solcher wirtschaftlicher Schäden zu. Aktienkurse sind ein Indikator für die künftige Profitabilität der Unternehmen und damit indirekt auch für das wirtschaftliche Wohlergehen eines Landes. Meine These ist: Die Wahlen minderten die Chancen Le Pens gemäss Wettquoten um ca. 13%. Dies schmälerte die unmittelbare Gefährdung des Eurosystems und führte deshalb zu Aktienkursgewinnen von gut 4%. Mit einem einfachen Dreisatz lässt sich daraus abschätzen, was ein Wahlsieg (100% Wahrscheinlichkeit für Le Pen) für die Unternehmen in der Währungsunion bedeuten könnte: Ein unmittelbarer Wertverlust in der Grössenordnung von 25%. Natürlich stehen hinter dieser Berechnung vereinfachende Annahmen. In der Dimension scheint mir die Zahl dennoch plausibel.
Das ist erschreckend. Bedeutet es doch, dass das wirtschaftliche Wohlergehen der gesamten Eurozone am Gängelband einzelner Politiker an der Spitze wichtiger europäischer Länder ist. Eine einzige Person hat in der heutigen Konstruktion des Eurosystems scheinbar das Potential, grosse Teile der Wirtschaftskraft des ganzen Kontinentes zu zerstören. Das ist nicht nur aus rechtsstaatlicher Sicht äusserst bedenklich. Es birgt auf absehbare Zeit ein wirtschaftliches Klumpenrisiko ohnegleichen. Die aktuellen Wahlen in Frankreich sind schliesslich nicht die letzten Wahlen im Euroraum.
Als Anleger bleibt in dieser Situation nur eine Möglichkeit: Das Engagement im Euroraum sollte man begrenzen und stattdessen gezielt in Länder und Regionen ausserhalb der Währungsunion diversifizieren. Dies trotz der auch in wirtschaftlicher Hinsicht traditionellen Vielfalt der Eurostaaten.