Um den Himmel auf Erden einzurichten, soll das Finanzsystem umfassend umgestaltet werden. Expertenkommissionen werkeln an entsprechenden Erlassen. Wer sind diese Experten und was müssen wir erwarten? Ein Bericht aus dem Nähkästchen.
Den Himmel auf Erden will die EU-Kommission schaffen: Eine Zukunft, die „Stabilität, einen gesunden Planeten sowie faire, inklusive und krisenfeste Gesellschaften und florierende Volkswirtschaften gewährleistet“ stellt sie in Aussicht. In einem Aktionsplan legt sie dar, wie sie die paradiesischen Ziele zu erreichen gedenkt. Eine Schlüsselfunktion weist sie dem Finanzsystem zu. Dieses soll „umfassend umgestaltet“ werden, um „privates Kapital in nachhaltigere Investitionen umzulenken“.
Bereits werkeln Expertenkommissionen an ersten Erlassen. Die Prognose ist kaum verwegen: Unter dem Druck der EU, des Zeitgeistes und interessierter Organisationen, wird wohl auch der Bundesrat bald eine entsprechende Expertengruppe einberufen. Wer sind diese Recht schaffenden Sachverständigen und was ist von ihnen zu erwarten? Wir plaudern ein wenig aus dem Nähkästchen.
Bemerkenswerte Zusammensetzung
Auch jene Expertengruppe, der ich 2003 als Vertreter der UBS angehörte, handelte im Namen eines noblen Ziels: Den „Schutz der Anlegerinnen und Anleger“ bezweckt das Kollektivanlagengesetz. Unser Auftrag war, die das Gesetz konkretisierende Verordnung über die Anlagefonds im Hinblick auf Finanzinnovationen (Kreditderivate) zu revidieren. Scheinbar technische Detailarbeit, die man getrost fachkundigen Experten delegieren kann.
Allerdings: Ein Gesetzt wird nicht durch den deklarierten Zweck effektiv. Es sind die detaillierten, oft technischen und schwer verständlichen Vorschriften, welche Wirkung erzielen. Wer diese ausarbeitet, hat entsprechenden Einfluss und Macht.
Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe ist deshalb von Belang: Das grösste Gewicht hatten wir, die Repräsentanten der grossen Banken und der Fondswirtschaft, die zum Schutze der Anleger reguliert werden sollten. Vertreten waren ferner eine bekannte Revisionsgesellschaft und eine renommierte Anwaltskanzlei. Geleitet wurde die Gruppe von einem Funktionär der eidg. Bankenkommission (heute FINMA), dem zuständigen staatlichen Organ. Keinen Vertreter stellten im 13-köpfigen Gremium die Anleger, um deren Wohl es ging. Das ist nicht überraschend, denn diese grosse, diffuse Gruppe ist nicht organisiert, hat keine Lobbyisten.
Wo lagen die Interessen der Mitglieder? Als Vertreter der UBS war ich vor allem daran interessiert, unsere Produkte möglichst unbehelligt von neuen Regeln erstellen und vertreiben zu können. Persönlich hatte ich in meinem Berufsleben nie das Gefühl, gegen die Interessen der Kunden gehandelt zu haben. Folglich sah ich wenig Bedarf, die Anleger vor mir zu schützen. Für den Branchenverband (Swiss Funds & Asset Management Association) war die Angleichung des Schweizerischen Rechts an die Normen der EU (diesem wichtigen Absatzmarkt der Banken) ein vorrangiges Ziel. Die Repräsentanten der Revisions- und Anwaltsbranche waren – so glaubte ich zu spüren – nicht übermässig an einfachen, klaren und widerspruchsfreien Regeln interessiert. Niemand macht sich gerne selbst überflüssig.
Innerhalb der Gruppe verständigten wir uns recht gut. Jeder brachte seine spezifischen Wünsche ein und akzeptierte weitgehend die Anliegen der Kollegen. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Es gab keine ausgeprägten Konflikte zwischen den vertretenen Interessen. Die Interessen der nicht vertretenen Anleger wurden eher am Rand diskutiert. Unsere Vorschläge wurden praktisch unverändert in geltendes Recht überführt.
Fragwürdige Resultate
Was ist aus dieser Konstellation entstanden? Gemessen am Ziel des Anlegerschutzes wenig, wie zwei Beobachtungen belegen:
– Die Regulierung konnte nicht verhindern, dass zahlreiche Anleger während der Finanzkrise enorme Verluste erlitten, gerade auch wegen Kreditderivaten. Natürlich ist denkbar, dass die Verluste ohne Verordnung noch massiver ausgefallen wären. Meine Erfahrung sagt aber das Gegenteil: Einige der Regeln provozierten komplexe Umgehungsgeschäfte, deren Risiken auch Experten erst während der Krise erkannten.
– Wie weit sich die Verordnung von ihrem offiziellen Zweck entfernte, zeigt folgendes Beispiel: Um zum Schutz der Anleger eine genügende Diversifikation sicherzustellen, wurde festgelegt, dass Effektenfonds höchstens 20% ihres Vermögens in Wertpapiere desselben Emittenten anlegen dürfen. Dem Sinn dieser Bestimmung spottend wurde eine Ausnahme geschaffen: Ist der Emittent ein Staat der OECD, darf bis zu 100% des Fondsvermögens investiert werden. Als wären etwa griechische oder italienische Staatsanleihen risikolos. Ein Schelm, wer denkt, die Interessen der EU (diesem wichtigen Absatzmarkt der Banken) würden bewusst über den Zweck des Gesetzes gestellt.
So zweifelhaft der Nutzen für die Anleger ausfiel, so klar war eine Wirkung des Erlasses: Der Aufwand und die Kosten für die Verwaltung von Fonds sind gestiegen. Zusätzliche Kontrollen und Überwachung, zusätzliche Revisionsarbeit und Rechtsgutachten wurden nötig. Als hinderlich empfundene Regeln führten zu teuren Umgehungsgeschäften. Vor allem grosse Banken, Revisionsfirmen und Anwälte profitieren davon. Bezahlen müssen die „geschützten“ Anleger via Gebühren, reduzierter Rendite und – paradox – zusätzlichen Risiken.
Meine geschilderte Erfahrung bestätigt nur ein Phänomen, das in der politischen Ökonomie unter dem Begriff „rent seeking“ schon lange bekannt und breit erforscht ist. Je ambitionierter die Ziele der Politik, desto grösser wird das Potential für organisierte Interessen, den politischen Prozess zu ihren eigenen Gunsten zu nutzen. Auf Kosten diffuser, schlecht organisierter Kreise wie uns Anlegern und letztlich der Gemeinschaft und der Volkswirtschaft als Ganzes.
Ob uns der EU-Aktionsplan einem gesunden Planeten oder einer fairen Gesellschaft näher bringt, ist mehr als zweifelhaft. Die Experten der Nachhaltigkeit sind weder vom Planeten noch von der Gesellschaft, sondern von Swiss Re, der KfW Bankengruppe, der Borsa Italiana, Climate KIC, Unilever, dem WWF und weiteren Organisationen mit Eigeninteressen bezahlt. Statt florierender Volkswirtschaften könnten blühende Bürokratien, Privilegien und Pfründen für bestimmte Branchen, wachsende Kosten für Sparer, fortschreitende Entmündigung der Investoren resultieren.
Der Versuch, den Himmel auf Erden einzurichten, erzeuge stets die Hölle, hatte Karl Popper gewarnt. Nicht nur als Anleger müssen wir hoffen, dass die EU-Kommission in ihren Zielen bescheidener wird und dass die Schweizer Politik möglichst behäbig nachhinkt.