
„Goldvreneli kostet über 600 Franken“, titelt der Tagesanzeiger. Der Goldpreis habe die Marke von $ 4000 pro Unze geknackt, berichtet die NZZ. Ein Kilo koste erstmals 100’000 Franken, verkündet SRF. „Gold nimmt Rekordjagd wieder auf“, „Gold – Wie steil wird die Rally noch?“, „Gold kaufen im Oktober: Die besten Preise und Händler“. Gold in aller Munde. Und im Napfgebiet sind auch die Goldwäscher wieder unterwegs.
Über die Ursachen der Goldhausse ist man sich einig: Geopolitische Unsicherheiten und Krisen, Inflationsängste, steigende Staatsverschuldung, Zentralbanken, die ihre Reserven vermehrt in Gold halten, weil sie dem Dollar nicht mehr trauen; Gold ist in unsicheren Zeiten der sichere Hafen, in den man flüchtet.
Mehrheitlich gleichgerichtet sind auch die Prognosen: Am Trend dürfte sich in nächster Zeit wenig ändern, glaubt man etwa bei der ARD Tagesschau. Die Rally sei nicht zu Ende, weiss man bei regionalen Blättern bis tief ins Südtirol. Bei vielen Banken, von der UBS bis zu Goldman Sachs, wittert man noch Luft nach oben. Der aktuelle Trend wird mehr oder weniger extrapoliert. Und für manche ist Gold heute gar der Inbegriff von Sicherheit und Rendite schlechthin.
Doch drehen wir das Rad der Zeit zurück. Zwischen 2000 und 2005 verkaufte die Schweizerische Nationalbank rund die Hälfte ihrer Goldbestände. Vorausgegangen waren zwei Jahrzehnte sinkender Preise. Der Wert des gelben Metalls hatte sich praktisch halbiert. Die Inflation war seit Beginn der 80er Jahre weltweit auf dem Rückzug. Nach dem Ende des kalten Krieges und dem unblutigen Zerfall der Sowjetunion herrschte eine Phase geopolitischer Stabilität. Es herrschte Optimismus, manche glaubten an „das Ende der Geschichte“. Gold als Inflations- und Krisenabsicherung schien kaum mehr notwendig.
Argumentiert wurde damals auch, Gold werfe im Unterschied zu Obligationen und Aktien auch keine laufenden Erträge ab. Es zirkulierten Schätzungen, wonach die SNB durch eine Umschichtung ihrer verbleibenden Goldreserven den jährlichen Ertrag um über 1 Mrd. Fr. steigern könnte. Die Nationalbank war mit den Verkäufen damals nicht allein. Auch andere Zentralbanken und private Anleger reduzierten ihre Goldbestände. Kaum eine Bank empfahl ihren Kunden Gold als Vermögensbestandteil. Zu Beginn des Jahrtausends war Gold als Finanzanlage vollkommen out.
In der Retrospektive erwies sich das als denkbar schlecht. Kaum hatte die Nationalbank ihre Goldverkäufe abgeschlossen, drehte der Trend, der Preis für Gold begann wieder zu steigen. Obschon die Welt damals – vor der Finanz- und Schuldenkrise – nach wie vor rosig erschien. Seither hat sich der Wert des Goldes mehr als verzehnfacht.
Die Krux von Preistrends an den Finanzmärkten ist, dass sie drehen, wenn es kaum jemand erwartet. Für die künftige Entwicklung des Goldpreises ist nicht der aktuelle Trend massgebend. Auch nicht die aktuelle Verschuldung der Staaten, nicht die aktuell pessimistischen Erwartungen, nicht die aktuellen Zentralbankkäufe sind entscheidend. Der künftige Goldpreis ändert sich wie alle Finanzmarktpreise, wenn sich die Erwartungen der Marktteilnehmer ändern. Und Erwartungen ändern in aller Regel nur aufgrund neuer Informationen, wenn etwas Unerwartetes passiert. Der Goldpreis ist kurz- und mittelfristig nicht sinnvoll zu prognostizieren; auch dann nicht, wenn sich die meisten Propheten bei Banken und Medien einig sind.
Worauf wir uns stützen können, sind historische Erfahrungen: Erstens die Tatsache, dass Gold – anders als staatliche Währungen – über tausende von Jahren relativ wertstabil blieb, wenn auch mit beträchtlichen Schwankungen. Doch anders als Aktien warf Gold über lange Zeiträume gemessen, keine signifikant positive, inflationsbereingte Durchschnittsrendite ab. Die Erfahrung lehrt uns, zweitens, dass sich der Goldpreis in vielen Krisensituationen konträr zu Aktien-, Immobilien- und Obligationenpreisen verhält. Diese Erfahrungswerte verleihen Gold als begrenzter Bestandteil (in einer Grössenordnung von vielleicht 5% bis 10%) eines Anlageportfolios einen hohen Diversifikationswert, eine gewisse Versicherungsfunktion. Gold ist im Gegensatz zu Aktien aber kaum geeignet, die Renditeerwartung eines Portfolios nachhaltig zu erhöhen.

Gold spekulativ, aufgrund des aktuellen Trends und den daraus abgeleiteten Prognosen zu kaufen, macht wenig Sinn. Der Teufel erklärt es so:
„TREND-FOLLOWING, v. The attempt to make money from trends by following them. If you could reliably identify trends, wouldn’t you be much better off anticipating them than following them? Yet the term „trend-anticipating“ doesn’t appear to exist in the Wall Street lexicon. Perhaps that should tell you something.“