„Ich habe keine Ahnung“ lautet meine stereotype Antwort auf die Frage vieler Kunden, wie sich der US Dollar, die Aktienmärkte oder die Zinsen in nächster Zeit voraussichtlich entwickeln werden. Das ist natürlich nicht die Antwort, die von mir als Vermögensverwalter erwartet wird. Doch es ist die Antwort, die erwartet werden sollte.
Warum? Ganz einfach: Finanzmärkte lassen sich nicht prognostizieren. Zugegeben, diese Aussage ist leicht überspitzt. Insbesondere existieren gewisse langfristige Trends. Aus Jahrhunderte langer Erfahrung wissen wir etwa, dass diversifizierte Aktienanlagen über einen langen Zeitraum eine deutlich höhere Rendite als sichere Geldmarktanlagen erzielen. Das macht auch Sinn, denn in der Regel beteiligt sich nur an einem risikobehafteten Unternehmen oder Projekt, wer früher oder später einen höheren Profit erwarten kann. Auch ist es wahrscheinlich, dass die (um die Inflation bereinigten) Realzinsen längerfristig zu einem bestimmten Mittelwert tendieren.
Aber solche Trends werden über einen Zeitraum von Monaten oder wenigen Jahren durch kaum vorhersehbare Schwankungen überlagert. Die Prognosen einer renommierten Forschungsabteilung* während der letzten vier Jahre verdeutlichen dies beispielhaft:
Die Vorhersagen scheinen nicht mit der Realität zu korrelieren. Nur in ungefähr 50% der Fälle war die Prognose zumindest der Richtung nach korrekt. Man hätte auch eine Münze werfen können. Zwar genügt diese kleine Auswahl an Prognosen nicht, um ihre Zufälligkeit genügend zu erhärten. Das haben zahlreiche Untersuchungen jedoch bereits getan. So begründet die Federal Reserve Bank of Dallas, weshalb Wechselkurse kurz- und mittelfristig nicht prognostiziert werden können. Für seine Erkenntnis, dass Aktienpreise kurzfristig nicht vorhersagbar sind, erhielt Eugene Fama 2013 den Nobelpreis.
Sollte man die Forschungsabteilungen der Banken also schliessen? Das wäre das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Sehr viel wichtiger als Preisprognosen sind Erkenntnisse zur Risikobewertung: Welchen Risiken ist eine bestimmte Investition ausgesetzt? Wie hängen verschiedene Anlagen voneinander ab? Welche Folgen könnte ein politisches Ereignis, ein demographischer Trend oder eine wissenschaftliche Erkenntnis nach sich ziehen? Die Erforschung derartiger Fragen hilft, Wertschriftenportfolios im Hinblick auf bestimmte Zielsetzungen möglichst risikoarm und robust zu gestalten und versteckte Klumpenrisiken zu vermeiden. Das ist der Kern der Vermögensverwaltung. Kurzfristige Aktien-, Zins- und Wechselkursprognosen sind dagegen vor allem Marketinginstrumente: Sie dienen der Anziehung gutgläubiger Kunden. Dass kaum eine Bank Buch führt über die Qualität ihrer Prognosen ist kein Zufall.
*Die Beispiele sind insofern repräsentativ, als sie unabhängig von den Prognoseresultaten gewählt wurden. Ich habe auch keine Hinweise, dass die Prognosequalität des gewählten Instituts systematisch schlechter wäre, als diejenige irgend einer andern, zufällig gewählten Bank. Deshalb verzichte ich hier auf eine Quellenangabe.