Sichere Anlagen gibt es nicht. Der Inflationsdruck wird bleiben, selbst in der Schweiz. Wer sein Vermögen schützen will, diversifiziert.
Der Irrtum, dass man bei Vermögensanlagen im Prinzip zwischen den folgenden zwei Alternativen wählen könne, war bis vor kurzem weit verbreitet.
- Alternative 1: Man investiert in Anlagen mit potentiell hohen Wertschwankungen. Zum Beispiel in Aktien. Für das Risiko kann man eine erhöhte Rendite erwarten.
- Alternative 2: Man legt sein Vermögen sicher an. Etwa in Staatsobligationen oder auf dem Konto. Die Sicherheit geht einher mit einer bescheideneren Rendite.
Dass die „sicheren“ Vermögensanlagen alles andere als sicher sind, wurde in den vergangenen Monaten für jeden ersichtlich. Wer in den USA oder im Euroraum wohnt und sein Geld auf dem „sicheren“ Konto hielt, hat innert Jahresfrist mehr als 8% verloren. In der Schweiz mehr als 3%. So stark sind die Preise gestiegen, während man auf dem Konto keine Zinsen erhielt. Wer sein Geld in „sicheren“ Staatsobligationen hielt, hat zudem auch noch beträchtliche Kursverluste erlitten. Die Sicherheit der Alternative 2 ist nichts als eine Illusion.
Wen das überrascht, der hat die Augen lange verschlossen. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 gab es immer mehr Anzeichen, dass steigende Preise nach Jahrzehnten relativer Stabilität wieder zu einer realen Bedrohung von Vermögenswerten werden könnten. So forderte beispielsweise der Chefökonom des internationalen Währungsfonds bereits 2010 ganz explizit höhere Inflation. Stabilitätsorientierte Notenbanker in Deutschland und der Schweiz wehrten sich damals noch gegen diese Tendenzen. Doch unter dem Druck der europäischen Schuldenkrise und der weltweit immer rascher steigenden Staatsverschuldung wurden die Verteidiger der Preisstabilität leiser.
Immer systematischer und aggressiver arbeiteten die wichtigsten Zentralbanken auf das Ziel höherer Inflation hin. Die Geldmengen wurden seit 2008 kontinuierlich und massiv ausgedehnt, die Inflationsziele wurden schleichend hochgeschraubt. So interpretierte die EZB ihren Auftrag der Preisstabilität (also 0% Inflation) zunächst als Zielband zwischen 0% und 2%. Dann erhöhte sie das Ziel auf 2%. Daraus wurde später ein „mittelfristiges“ und „symmetrisches Ziel um 2%“. Damit gab es nach oben keine klar definierte Grenze mehr. Ähnlich entwickelten sich die offiziellen Inflationsziele der amerikanischen Notenbank.
Sichtlich erschrocken über die nach der Covid-Krise entstandene, ungewollt starke Dynamik der Inflation, geben sich die meisten Notenbanken jetzt entschlossen, die hohe Inflation mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Insbesondere in den USA und in der Schweiz hat man bereits wesentliche Zinsschritte vollzogen und weitere nötige Massnahmen in Aussicht gestellt. Wird die Preisstabilität also in absehbarer Frist wieder hergestellt?
Skepsis ist angebracht. Zwar sind die Inflationsraten primär eine Folge der Geldpolitik. Doch die Geldpolitik bewegt sich nicht im luftleeren Raum. Auch die formal unabhängigsten Zentralbanken entscheiden nicht unabhängig von der Politik. Und die Politik hat in den meisten Ländern ein grosses und wachsendes Problem: Die Staatsausgaben übersteigen die Steuereinnahmen seit Jahrzehnten massiv. Lange hat man die Differenz durch Verschuldung finanziert. Doch diese Strategie stösst an ihre Grenzen: Private Gläubiger geben auch Staaten nur solange Geld, als sie an die Rückzahlung der Schulden glauben. Als Ausweg bietet sich den Regierungen die Finanzierung über die Notenpresse an. Solange die Staaten ihre Haushalte nicht ins Gleichgewicht bringen, wird der politische Druck auf die Zentralbanken anhalten.
Und ausgeglichene Staatshaushalte sind derzeit kaum in Sicht. Ernsthafte und glaubwürdige Sparprogramme fehlen. Im Gegenteil: Geld, das man nicht hat, wird immer ungehemmter ausgegeben. Gute Gründe haben Politiker immer. In der Finanzkrise mussten sie Banken retten. Dann galt es in Europa überschuldete Staaten zu unterstützten. Später benötigte man unvorstellbare Beträge zur Bewältigung der Covid-Krise. Auch für marode Infrastruktur und überlastete Gesundheitssysteme müssen laufend grössere Summen gesprochen werden. Gegenwärtig rechtfertigt der Ukraine-Krieg drastische Erhöhungen der Militärbudgets. Grosse Belastungen mancher Staatshausalte in Zusammenhang mit Energieengpässen zeichnen sich bereits ab. Auch eine Rezession ist vermutlich im Anmarsch, was schwindende Steuern und Zusatzausgaben für Arbeitslosengelder, Sozialhilfe, womöglich erneute Banken- und Firmenrettungen bedeutet. Von gigantischen Verpflichtungen für die grossenteils auf Schneeballsystemen beruhenden Vorsorgesysteme ganz zu schweigen.
Der Druck der Politik auf die Zentralbanken wird deshalb nicht nur anhalten, sondern wahrscheinlich steigen. Selbst in der Schweiz. Erstens nimmt die Staatsverschuldung auch hierzulande zu. Zwar sind die Finanzen noch halbwegs im Lot, doch die Tendenz geht in die falsche Richtung. Zweitens ist das wichtigste Instrument zur Bekämpfung der heimischen Inflation derzeit die Aufwertung des Frankens, sie wirkt dem Import der Preissteigerungen im Ausland entgegen. Doch eine Aufwertung entspricht nicht den kurzfristigen Interessen der Exportindustrie mit ihrer durchsetzungsstarken Lobby. Schon die erste Zinserhöhung hat manche Exponenten zu harschen Kommentaren veranlasst. Sollte der Franken stärker werden, wird dieser Druck steigen. Wenig Interesse an einer Aufwertung haben auch die Regierungen der Kantone, die sich während der letzten Jahre an den warmen Geldregen aus SNB-Gewinnen gewöhnt haben. Angesichts der gewaltigen Fremdwährungsbestände in der SNB-Bilanz bedeutet jedes Prozent Aufwertung einen Verlust von rund 10 Milliarden Franken. Zusätzlich zu den massiven Kursverlusten auf den Obligationen und Aktien. Das bedeutet weniger Geld für Bund und Kantone.
Solange die grossen Staaten dieser Welt keine glaubwürdigen Pläne zur längerfristigen Stabilisierung der Staatshaushalte präsentieren, muss man der Fähigkeit der Zentralbanken, die Preisstabilität dauerhaft zu garantieren, misstrauen. Der Inflationsdruck wird bleiben, selbst in der Schweiz.
Was heisst das für uns als Anleger? Einen absoluten Schutz gegen hohe Inflation gibt es zwar nicht. Doch wer gut diversifiziert auch in Sachwerte, in solide Unternehmen und Immobilien investiert, hat sehr gute Chancen, den Vermögenswert längerfristig auch in Zeiten der Inflation und der Krisen zu bewahren.