Hohe Inflation sei unvermeidlich, behaupten die einen. Merkbar höhere Teuerungsraten seien sehr unwahrscheinlich, versichern die anderen. Was steckt hinter dem Widerspruch?
Nach Jahrzehnten relativer Preisstabilität ist es vielen nicht mehr bewusst: Hohe Inflation ist eine schlimme Plage, nicht nur für Sparer, sondern für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt.
Umso verstörender sind die höchst widersprüchlichen Prognosen. Die Ökonomen der Crédit Suisse halten merklich höhere Teuerungsraten für äusserst unwahrscheinlich („at most a tail risk“). „Alle historischen Erfahrungen sprechen dafür, dass ein so starkes Wachstum der Geldmengen zu Hochinflationen führen muss“, meint dagegen Peter Bernholz, der sich wie nur wenige mit der Geschichte der Inflation befasst hat. Wieder andere wissen, dass ein Zeitalter der Deflation angebrochen ist.
Inflation ist eine anhaltende Minderung der Kaufkraft des Geldes. „Kaufkraft“ ist ein Synonym für den Preis, ausgedrückt in Einheiten von Gütern und Dienstleistungen, die man im Tausch gegen das Geld erhält. Ursache der Inflation ist ein Wachstum des Geldangebots, das die Geldnachfrage übersteigt und so den Preis des Geldes drückt. Das impliziert das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Der Mechanismus scheint recht simpel. Warum kommen Experten dennoch zu so unterschiedlichen Prognosen?
Geld – ein diffuser Begriff
Erstens ist Geld ein diffuser Begriff. Im engsten Sinn handelt es sich um Münzen und auf Papier gedruckte Zahlungsmittel. Doch in der Zeit von EC-Karten und Apple-pay ist auch Buchgeld zum allgemein anerkannten Zahlungsmittel mutiert. Stellt man die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes stärker in den Vordergrund, haben selbst Sparguthaben, kurzfristige Kredite und weitere liquide Anlagen geldähnlichen Charakter. Welches Geldaggregat für die Teuerung massgebend ist, ist weder klar, noch über die Zeit konstant.
Zweitens ist die Entwicklung der Geldnachfrage schwer zu prognostizieren. Wieviel Liquidität Haushalte und Unternehmen zum Tausch gegen Güter und Dienstleistungen halten, hängt etwa von geplanten Anschaffungen oder der Verfügbarkeit kurzfristiger Kredite ab. Auch technische Neuerungen wie Bankomaten oder elektronische Zahlungssysteme spielen eine Rolle. Wird der Bedarf an flüssigen Mitteln während einer Krise schwer abschätzbar, erhöhen die Wirtschaftssubjekte ihre Liquiditätspolster. So stieg die Geldnachfrage während der Finanz- oder der Coronakrise sprunghaft an. Auch als Wertaufbewahrungsmittel ist Geld nicht immer gleich beliebt. So machen hohe (Real-)Zinsen Bankkonten attraktiv. Werden hingegen Negativzinsen belastet, flüchten viele in Alternativen wie Aktien, Immobilien oder Gold.
Instabile Erwartungen
Wieviel Geld die Leute halten, hängt zudem nicht nur von der aktuellen Lage, sondern von Erwartungen ab. Eine zentrale Rolle spielen die Inflationserwartungen. Wer eine sinkende Kaufkraft antizipiert, gibt Geld eher heute als morgen aus. Mit steigenden Preisen rechnet jemand dann, wenn er glaubt, dass andere höhere Preise erwarten, mehr Geld ausgeben und damit die Preise treiben. Die Inflationserwartung des Einzelnen spiegelt also die Inflationserwartung anderer, es ist wie bei Mani Matters Coiffeur.
Solange tiefe Inflationserwartungen der meisten Akteure auf einem stabilen Fundament beruhen, bleibt auch die effektiven Preise stabil. Das stabile Fundament besteht im glaubwürdigen Versprechen der Notenbanken, das Preisniveau stabil zu halten, d.h. das Geldangebot so gut wie möglich der Geldnachfrage anzupassen. Erwachsen Zweifel an der Einlösung dieses Versprechens, werden die Erwartungen instabil und können – weil sie sich gegenseitig beeinflussen und spiegeln – in kurzer Zeit stark steigen. Die Inflation kann rasch und unerwartet steigen.
Heute haben die meisten Zentralbanken den gesetzlichen Auftrag, für Preisstabilität zu sorgen. Doch Gesetze können neu interpretiert, geändert oder missachtet werden. Immer rascher steigende Staatsausgaben untergraben das Vertrauen in die Geldpolitik. Steuererhöhungen sind unpopulär und die Versuchung, die Notenbank als Geldquelle anzuzapfen steigt für die Politik. Das Ziel der Preisstabilität wird zunehmend in Frage gestellt. Die Inflationserwartungen werden so destabilisiert. Die widersprüchlichen Prognosen sind in erster Linie Ausfluss dieser Tendenz.