Warum irren sich hochqualifizierte Experten in ihren Prognosen immer wieder von Neuem?
„Da das robuste Wirtschaftswachstum die Gewinne ankurbelt, können die globalen Aktienmärkte weiter steigen.“ Das schrieb – stellvertretend für Viele – eine renommierte Bank Ende 2017 in ihrem Ausblick für das vergangene Jahr.
Überhaupt waren die Börsenprognosen für 2018 wieder höchst unzuverlässig:
Jahresprognosen und effektive Entwicklung: Aktien und Zinsen
Jahresprognosen und Realität: Währungen und Rohstoffe
Als bemerkenswert treffsicher erwies sich nur eine Vorhersage: „2018 werden sich die Finanzmärkte nicht nach den Prognosen der Experten richten“, prophezeite vor Jahresfrist der Partisan.
Warum irren sich hochqualifizierte Experten immer wieder von Neuem? Weil ihre Prognosen naturgemäss auf bereits bekannten Informationen basieren. Die Börsenpreise reagieren aber sofort auf neue Informationen. Soweit es um die Vorhersage der Finanzmärkte geht, sind Jahresausblicke deshalb kalter Kaffee.
Wie die alte Fastnacht
Betrachten wir die eingangs zitierte Prognose genauer. Natürlich weiss die Bank, dass Aktienmärkte durch Erwartungen getrieben sind. Aktienmärkte steigen, wenn sich die Erwartungen an künftige Gewinne aufgrund neuer Informationen erhöhen. Was unsere Bank verkürzt formulierte, aber implizit meinte, ist: „Das Wachstum ist robuster, als die meisten Marktteilnehmer erwarten. Es ist also noch nicht in den Aktienpreisen eskomptiert. Bald werden das auch andere Akteure merken und deshalb Aktien kaufen. Dann steigen die Märkte.“
Weil er die Zahlen besonders rasch, professionell und scharf analysiert, ist der Analyst überzeugt, einen Wissensvorsprung gegenüber dem Markt zu haben. Aber hat er diesen tatsächlich?
Während der Experte unserer Bank positiv von der jüngsten Schätzung der Industrieproduktion überrascht wird und seine Aktienprognosen unverzüglich erhöht, trifft ein kleines Unternehmen gerade den Entscheid, aufgrund geänderter Kundenbedürfnisse auf den Kauf einer bestimmten Maschine zu verzichten. Ein Angestellter dieses Unternehmens erfährt zufällig von einem Kollegen bei der Konkurrenz, dass auch dort ähnliche Überlegungen angestellt werden. Der Angestellte schaltet schnell und verkauft seine privat gehaltenen Aktien des Maschinenproduzenten. Zwei Monate später berichtet dessen Verkaufsleiter seiner Geschäftsleitung von einem merklichen Auftragsrückgang. Bis sich dieser Vorgang (und viele ähnliche Vorgänge) dann in den von unserem Experten analysierten Statistiken als erstes Anzeichen einer Wachstumsverlangsamung zeigt, vergehen weitere Wochen oder Monate. Inzwischen haben zahlreiche Leute, die näher am Geschehen sind, die eine oder andere Aktie längst verkauft. Die Aktienpreise sind bereits gesunken.
Während unser Experte die Flaute dann in der Statistik erkennt und seine Prognosen unverzüglich nach unten korrigiert, erzählt ein beseelter Ingenieur seinen Kollegen gerade von einer genialen Produktidee. Die Aktien seines Arbeitgebers ziehen noch am selben Tag an.
Kursrelevante Informationen verbreiten sich meist diffus, häppchenweise und auf vielen Kanälen bevor die Prognostiker davon Wind bekommen. Selten sind Ökonomen und Analysten direkt an der Quelle. Ihre Kursprognosen sind deshalb meist schon vor der Erstellung veraltet.
Das heisst nicht, dass die Forschungsabteilungen der Banken überflüssig sind. So liefert die Analyse fundamentaler wirtschaftlicher Zusammenhänge wichtige Grundlagen, etwa für das Risikomanagement. Oft sind erfahrene Aktienanalysten mit ihrer Aussensicht auch geschätzte Sparringspartner für Geschäftsleitungen von Unternehmen. Nur die künftige Entwicklung der Börsen beherrschen auch die hellsten Köpfe nicht. Sie besitzen nicht die dafür notwendigen, aktuellsten Informationen.
Auch 2019 werden sich die Finanzmärkte nicht an die Prognosen der Experten halten.