Skepsis ist in guten Zeiten angesagt. Wenn alle schwarzmalen, ist es Zeit für Optimismus.
„Die Strassen sind mit Leichen übersät“, meldet 20 Minuten. „Explosionen in Odessa“, titelt der Blick. „Wie der Ukraine-Krieg eine globale Hungerkrise auslösen könnte“, erklärt uns SRF. „Der Westen soll endlich schwere Waffen liefern“, fordert der Tagesanzeiger. „Die atomare Bedrohung – was ist genau zu befürchten?“ fragt die NZZ. Seit Wochen emittieren die Zeitungen fast im Stundentakt diese pechschwarzen Schlagzeilen. Wer die Welt in diesen Tagen durch den Filter der Medien betrachtet, stellt nur noch eine Frage: Klopft die Apokalypse gerade an die Tür oder ist sie bereits eingetreten?
Am Sonntag stapften wir durch tief verschneite Wälder auf die Rigi. Die Sonne blinzelte durch die Wolken, faszinierende Eissterne tanzten in der Luft. Überall frische Tierspuren, ein Hase hoppelte vergnügt über den Weg. Stille, keine einzige Bombe detonierte. Nur das Rigibähnli ratterte einmal friedlich an uns vorbei.
Der extreme Gegensatz zwischen der Wahrnehmung der Welt mit den eigenen Sinnen und der Berichterstattung in der Presse konzentriert sich keineswegs auf die heile Welt der Schweiz. Zumindest bis anhin beschränkt sich der Krieg auf winzige Teile des Globus. Die allermeisten Menschen erfreuen sich unverändert ihres Lebens, bewältigen ihre Alltagsprobleme, gehen friedlich ihren Zielen nach.
Für die Betroffenen ist ein Krieg eine furchtbare Katastrophe (auch in Ländern wie Jemen, die man in den Redaktionsstuben längst vergessen hat). Aber der Krieg, der die Medien zur Zeit vollständig beherrscht, bedeutet aller Voraussicht nach nicht den Zusammenbruch der Zivilisation. Auch wenn die Ukraine geographisch recht nahe liegt, auch wenn das Risiko einer Eskalation besteht, auch wenn Ausfälle bei Getreideexporten in andern Ländern erhöhte Knappheit hervorrufen könnten: Wir haben keinen Anlass, grenzenlosem Pessimismus zu frönen. Im Gegenteil. Es gibt Erfreuliches, Lichtblicke überall. Das erkennt jeder, der offen und neugierig in die Welt, statt in den Fernseher blickt.
Skepsis ist vor allem in guten Zeiten angesagt. Dann blenden wir erkennbare Gefahren gerne aus. Noch zu Jahresbeginn überschäumte der Optimismus. Das Ende der Pandemie war absehbar, die Wirtschaft brummte. Anlageempfehlungen der Banken kamen leicht und unbekümmert daher. „Aufgrund des robusten Wachstums erwarten wir, dass sich der Aufwärtstrend der Aktien im Jahr 2022 fortsetzt“ lautete eine typische Prognose. Trotz ausserordentlich niedriger Risikoprämien wurde der Aufbau riskanter Anlagen propagiert. Die Truppenbewegungen an der ukrainischen Grenze wurden in der Euphorie ignoriert, bedenkliche Preisschübe, die nicht ins rosarote Bild passten, wurden leichtfertig als „vorübergehend“, als irrelevant klassifiziert.
Werden die Risiken aber plötzlich für jedermann sichtbar, lassen sie sich nicht länger ignorieren, verfallen wir leicht ins andere Extrem. „Angesichts der grossen Unsicherheit empfehlen wir, die Aktienquote abzubauen“ wisperten plötzlich manche Banken. Dabei werden Risiken nicht grösser, nur weil sie besser sichtbar sind. Unsicherheit ist eine Konstante des Lebens, gerade auch in unbekümmerten Zeiten.
Grösser wird in Krisen aber die Entschädigung, die Prämie für getragene Risiken. Zwar wissen wir im Voraus nie, wann der Tiefpunkt erreicht ist. Es kann immer noch schlimmer kommen. Doch das Verhältnis der Chancen zum Risiko ist während einer Krise immer besser als davor. Und wir wissen, dass jede Krise einen Tiefpunkt kennt, wonach es wieder aufwärts geht. Oft völlig unerwartet und schnell. Kaum jemand hat im Frühjahr 2009 den Wendepunkt der Finanzkrise erkannt. Wer hätte während der Panik aufgrund der Lockdowns im März 2020 den unglaublichen Boom der Aktienmärkte, die rasche Erholung der Wirtschaft vorausgesagt? Wenn alle schwarzmalen, ist die Zeit für Optimismus.
Beratern, die mit den Wölfen heulen, Banken, die während der Krise zum Verkauf von Aktien, zum Abbau von Risiken raten, sollten Sie misstrauen. Sie kaschieren damit nur ihren allzu leichtfertigen Umgang mit dem Risiko vor der Krise. In Zeiten der Euphorie ist Zurückhaltung und Skepsis wichtig. Wer während der Krise Risken reduzieren, Wertschriften mit Verlusten verscherbeln muss, hat sich im vorangehenden Boom kopflos mehr Risiken aufgebürdet, als er tragen kann. Das ist ein weitverbreiteter, weil menschlicher Fehler.