Bei aller berechtigter Kritik: Mit dem Finger auf Manager und Behörden zu zeigen, ist selbstgerecht. Verantwortlich für das CS-Debakel sind auch wir. Als Anleger, als Aktionäre, als Stimmbürger.
In den Medien genauso wie an Stamm- und Familientischen ist man sich einig: Schuld am Untergang der Crédit Suisse sind die Manager, die FINMA, die Nationalbank, die zuständigen Bundesräte. Gestritten wird allenfalls über die Reihenfolge. Natürlich ist die Kritik berechtigt und nötig. Verantwortungsträger haben schwere Fehler gemacht, fahrlässig, teils vielleicht verantwortungslos gehandelt. Doch massgeblich verantwortlich für das CS-Debakel sind auch wir. Als Anleger und Investoren, als Aktionäre, als Stimmbürger.
Privaten Aufwand reduzieren, Verluste sozialisieren
Eine Mitschuld trifft jene Anleger, die der Crédit Suisse ihr Geld in Form von Einlagen und Obligationen völlig unkritisch überlassen haben. Gläubiger, die sich nicht darum scherten, was die Bank mit ihrem Geld tat. Die Mitverantwortung trifft uns, die wir die Mühe scheuen, die Kreditwürdigkeit unserer Bank zu prüfen und uns lieber auf den Staat, also unsere steuerzahlenden Mitbürger als Garanten verlassen. Wir, die wir bequem unseren privaten Aufwand reduzieren und mögliche Verluste sozialisieren.
Klar, der Staat verleitet uns zu solch unsozialem Verhalten. Zum Beispiel dadurch, dass er grosse Banken ausdrücklich als „systemrelevant“ erklärt, und damit signalisiert, dass er sie nicht untergehen lässt, sondern sie und ihre Kunden notfalls mit Steuergeldern schützt. Dass der Staat unsere Einlagen faktisch garantiert, war nicht immer so klar. Nicht zufällig hafteten Privatbankiers bis vor wenigen Jahrzehnten freiwillig mit ihrem gesamten privaten Vermögen für die Verbindlichkeiten ihrer Bank. Damit erleichterten sie ihren Kunden das Vertrauen, ein wesentlicher Konkurrenzvorteil. Heute tun dies nur noch eine Handvoll Privatbankiers. Warum sollten sie auch? Je eindeutiger der Staat grosse Konkurrenzbanken schützte, desto geringer wurde der Konkurrenzvorteil jener Banken, die das Vertrauen ihrer Kunden mit persönlicher Haftung oder auch mit hohen Eigenmitteln, risikoarmer und transparenter Geschäftspolitik statt mit Grösse und „Systemrelevanz“ zu gewinnen suchten.
Verantwortung der Eigentümer
Verantwortung tragen auch die Aktionäre. Sie delegieren den Verwaltungsrat. Obschon die oberste Führung der Crédit Suisse eine schier endlose Serie an handfesten Skandalen, riesigen Verlusten und hohen Bussen produzierte, griffen die Eigentümer nicht entschlossen ein. Sie liessen einen unfähigen Verwaltungsrat über Jahre gewähren und nahmen ihre Verantwortung nicht wahr.
Auch das wird durch den Staat vermutlich gefördert. Zum Beispiel mit Art.95 Abs.3 der Bundesverfassung, den wir als Stimmbürger unter dem Namen „Abzockerinitiative“ gutgeheissen hatten. „Die Pensionskassen stimmen im Interesse ihrer Versicherten ab und legen offen, wie sie gestimmt haben“, heisst es dort scheinbar vernünftig. Doch was bedeutet das in der Praxis?
Der Bundesrat konkretisierte die Forderung indem er von den Kassen einen jährlichen Bericht über ihr Abstimmungsverhalten verlangt und bestimmt: „Folgen die Vorsorgeeinrichtungen den Anträgen des Verwaltungsrates nicht oder enthalten sie sich der Stimme, so müssen sie ihr Stimmverhalten im Bericht detailliert offenlegen.“ Nun, die wenigsten Pensionskassenmanager haben Zeit und Lust, ihr Stimmverhalten detailliert zu erläutern, zumal sie meist Aktien vieler Unternehmen halten. Dass sie oft unkritisch den Verwaltungsräten folgen, sollte niemanden wundern, auch wenn das entgegen dem Wortlaut des Gesetzes kaum im Interesse der Versicherten liegt. Doch wie wollte man das beweisen?
Damit sind wir bei unserer Verantwortung als Stimmbürger angekommen. Als Souverän sind wir nicht nur für die wohlklingende Absicht eines Erlasses, sondern auch für dessen Umsetzung und die tatsächliche Wirkung verantwortlich. Denn auch für die Politiker, die unsere Entscheidungen konkretisieren tragen wir als Wähler die Verantwortung.
Kommandieren, kontrollieren, korrigieren
„Kommandieren, kontrollieren, korrigieren“, hatten wir einst im Militär gelernt. Das gilt auch für uns als Aktionär und Stimmbürger. Es ist nicht genug, schneidige Verwaltungsräte zu wählen. Es gilt, ihre Geschäftsführung zu kontrollieren und nötigenfalls durch Abwahl zu korrigieren. Es genügt nicht, sympathische und eloquente Politiker ins Parlament zu kommandieren, oder in guter Absicht eine Verfassungsbestimmung zu verabschieden. Wer als Bürger Verantwortung trägt, muss auch kontrollieren: Machen Politiker, die man wählte, was sie am Sonntag predigen? Tut eine Partei, was ihr Programm propagiert? Wird ein Gesetz umgesetzt, wie wir es wünschen? Bewirkt es, wozu man es erschaffen hat? Oder bleibt es toter Buchstabe, bewirkt vielleicht gar das Gegenteil seines Zwecks? Dann gilt es zu korrigieren. Das ist anstrengend und anspruchsvoll. Doch es ist der einzige Weg, das nächste Debakel zu verhindern.