Nicht nur Sachkompetenz entscheidet über den Gehalt einer Prognose. Noch wichtiger ist das Motiv des Urhebers.
Mit Bezug auf die US-Finanzpolitik stehen zur Zeit drei zentrale Prognosen im Raum:
- Der Nutzen aus den gigantischen Ausgabenprogrammen wird deren Kosten bei weitem übersteigen. Das prognostiziert Joe Biden unter Berufung auf das geballte Wissen seiner namhaften Berater.
- Die Zinsen werden noch lange tief bleiben. Das sagt die US Finanzministerin und ehemalige Notenbankpräsidentin Yellen, deren Intelligenz und Kompetenz kaum jemand anzweifelt.
- „Anxiety about the inflationary effect of public investment just doesn’t make sense when you look at the numbers“. Und „don’t worry about inflation“, verkündet der weltbekannte Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Paul Krugman.
Die Urheber dieser Prognosen bringen zweifellos grosse Autorität und ausgewiesene Sachkompetenz auf die Waage. Können wir also getrost auf ihre Aussagen vertrauen? Ein kritischer Blick in die Geschichte lehrt anderes.
Historische Fehleinschätzungen
Vor einigen Wochen äusserte sich derselbe Joe Biden unter Berufung auf das geballte Wissen seiner Geheimdienste und Berater: Die Situation in Afghanistan sei nicht im Entferntesten vergleichbar mit Vietnam. Unter gar keinen Umständen seien Notevakuationen wie 1975 in Saigon zu erwarten. „Sleepy Joe“ ist nicht der erste Staatschef, der eine so gravierende Fehlprognose von sich gab. „Bis zum Mittag werden wir die Preußen geschlagen haben“, prophezeite etwa Napoleon vor der Schlacht bei Waterloo. Erich Honegger deklarierte wenige Montate vor ihrem Fall: „Die Mauer wird in 50 und auch in 100 Jahren noch bestehen bleiben“.
Frau Yellens Vorgänger bei der US Zentralbank, Ben Bernanke, entwarnte kurz vor Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008, „the impact on the broader economy and financial markets of the problems in the subprime market seems likely to be contained“. Alan Greenspan erwartete 2007 zweistellige Zinssätze in den folgenden Jahren. Die Zinsen tendierten stattdessen gegen Null.
Auch an fabelhafte Prognosen erfahrener Bundesräte erinnern wir uns. Für «nicht verhandelbar» erklärte Pascal Couchepin das Bankgeheimnis. «An diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch noch die Zähne ausbeissen», doppelte Kollege Merz gegenüber der EU nach. Ruth Dreifuss versicherte, die obligatorische Krankenversicherung werde die Gesundheitskosten stabilisieren, wenn nicht senken. Die Kosten wachsen seither exponentiell.
Einige in die Irre führende, modellbasierte Prognosen renommierter Epidemiologen und Wirtschaftsprofessoren haben Sie in Zusammenhang mit Corona vermutlich noch lebhaft in Erinnerung. Und Starökonom Krugman meinte 1998: „By 2005 or so, it will become clear that the Internet’s impact on the economy has been no greater than the fax machine’s“. Wir hoffen natürlich, dass Krugmans Entwarnung betreffend Inflation treffender ist, als seine Beurteilung des Internets. Überzeugt sind wir nicht.
Zwei Arten von Prognosen
Es gibt zwei Arten von Prognosen: Solche, die wir aufgrund unserer Erfahrung, unseres Wissens und theoretischer Überlegungen recht zuverlässig machen können. Oft handelt es sich dabei nicht um konkrete Vorhersagen, sondern um die Erkennung bestimmter Muster. Dass eine hohe Verschuldung die Wahrscheinlichkeit von Wirtschaftskrisen erhöht, ist keine gewagte Behauptung, sondern eine empirisch und theoretisch gut unterlegte These.
Ganz anders verhält es sich mit den oben erwähnten Vorhersagen. Sie beruhen weder auf gesichertem Wissen über die relevanten Zusammenhänge, noch basieren sie auf ausreichender Erfahrung. Es handelt sich mehr um Glaubensbekenntnisse, Zweckoptimismus, Bauchgefühle oder um teilweise unzulässig vereinfachende Modelle, die der Wirklichkeit und ihrer Komplexität nicht annähernd gerecht werden. Es handelt sich um die Anmassung von Wissen.
Als besonders haltlos erweisen sich regelmässig jene Prognosen, deren Motiv nicht im Erkenntnisgewinn, sondern in der Abwehr von Kritik, in der Rechtfertigung des eigenen Tuns, im Durchboxen von Entscheiden liegt. Die erste und wichtigste Frage bei der Beurteilung jeder Prognose lautet deshalb: Was ist das Ziel, das Interesse, das Motiv des Urhebers? Das ist noch wichtiger als die fachliche Kompetenz. Wer diese Frage konsequent stellte, traute vermutlich kaum einer der zitierten Voraussagen.
Und wer die Frage nach dem Motiv heute stellt, nimmt die eingangs erwähnten Prognosen von Biden, Yellen und Krugman als das, was sie sind: Politisch motivierte Aussagen ohne wissenschaftlichen Gehalt. Wer stattdessen auf die Kompetenz der Urheber vertraut, verliert als Sparer und Anleger leicht viel Geld.