Dass der Klimawandel den Wert von Finanzanlagen auf vielfältige Weise tangieren kann, wird niemand bestreiten. Doch wenn ihr Anlageberater plötzlich von „Klimarisiken“ spricht: Seien Sie auf der Hut.
Die Finanzwelt hat eine neue Klasse von Risiken entdeckt: Klimarisiken. Der Begriff, der vor zehn Jahren noch kaum existierte, erscheint inflationär im Vokabular von Zentralbanken, in Weisungen der Aufsichtsbehörden, in Geschäftsberichten der Banken, in Anlageempfehlungen von Vermögensverwaltern. Was ist davon zu halten?
Die schweizerische Finanzmarktaufsicht (FINMA) erklärt es so: „Die Auswirkungen des Klimawandels können für Finanzinstitute längerfristig bedeutende finanzielle Risiken bergen. Im Vordergrund stehen physische Risiken, wie sie sich aus dem Klimawandel ergeben, sowie Transaktionsrisiken im Zusammenhang mit dem Dekarbonisierungsprozess der Wirtschaft.“ Deshalb verlangt sie: „Finanzinstitute müssen ihre wesentlichen klimabezogenen Finanzrisiken erkennen und angemessen bewirtschaften.“
Auch die Schweizerische Nationalbank überwacht neuerdings „klimabezogene Risiken für die Finanzstabilität“. Sie befürchtet, „der Klimawandel könnte das traditionelle Kerngeschäft der Banken in Mitleidenschaft ziehen“.
Und immer mehr Banken und Vermögensverwalter wollen ihre Anlagekunden vor Klimarisiken schützen. Etwa die Bündner Kantonalbank. Sie misst und steuert jetzt das „Climate Value at Risk“ der Kundenportfolios mit nicht näher erklärten Methoden bis auf die zweite Nachkommastelle genau. (Warum eigentlich, fragt man sich, machen die Muothataler Wetterschmöcker nicht so exakte Prognosen? Schliesslich verfügen sie über erprobtere und mindestens so fundierte Modelle. Einmal abgesehen davon, dass „Value at Risk“ ohne Zeithorizont und Wahrscheinlichkeit soviel bedeutet, wie: „Die Miete kostet Fr. 100.-.“ Pro Tag, pro Monat, pro Jahr?)
Klar, dass der Klimawandel den Wert von Finanzanlagen auf vielfältige Weise tangieren kann, wird niemand bestreiten. Natürlich könnten zunehmende Wetterkapriolen wirtschaftliche Schäden verursachen, Wirbelstürme die Ergebnisse von Versicherern belasten, Überschwemmungen Immobilien und Fabriken zerstören. Zweifellos treiben grosse Dürren die Nahrungsmittelpreise in die Höhe. Klimapolitisch motivierte Gesetze können die Geschäfte von Ölgiganten, Airlines und vielen weiteren Branchen beeinträchtigen.
Dennoch stellen sich Fragen:
Was unterscheidet die „Klimarisiken“ von andern Risiken so sehr, dass sie plötzlich gesondert behandelt werden müssen? Warum berechnet die Bünder Kantonalbank ein Climate-, aber kein Pandemie- und kein Cyberattack Value at Risk? Weshalb erwähnt die Nationalbank klimatisch bedingte Risken explizit, nicht aber die Risiken eines möglichen Atomkriegs? Warum thematisiert die FINMA explizit den „Dekarboniesierungsprozess“, nicht aber eine globale Schuldenkrise oder eine mögliche Invasion Taiwans? Es gibt viele Risken, welche die Stabilität des Bankensystems und den Wert von Anlageportfolios konkreter und unmittelbarer bedrohen als sich über Jahrzehnte langsam ändernde Temperaturen.
Verwunderlich ist auch, dass die sogenannten „Transaktionsrisiken“ aus strengeren Gesetzen, der Weiterentwicklung von Technologien und Marktveränderungen vor allem bei Co2-Emittenten geortet werden. Unterliegen etwa Branchen, deren Erfolg massgeblich auf klimapolitisch motivierten Subventionen beruht, nicht ebenso grossen „Transaktionsrisiken“, wenn Staaten wie gerade in Deutschland das Fördergeld auszugehen droht? Inwiefern unterscheiden sich „klimabedingte“ Marktveränderungen von Strukturbrüchen durch die Einführung der Eisenbahn, Computer, künstliche Intelligenz oder durch Handelskriege?
Was unterscheidet künftige Wetterphänomene von früheren Umweltkatastrophen, wenn es um die Einschätzung finanzieller Risiken geht? Sollten Überschwemmungen oder Wirbelstürme in den kommenden Jahrzehnten vermehrt auftreten, werden Versicherungen ihre Prämien an die neue Situation anpassen, so wie Krankenkassen auf steigende Gesundheitskosten reagieren. Banken werden neu entstehende Risiken in der Erdölbranche in ihrer Kreditpolitik berücksichtigen, so wie sie einst die mit Sammelklagen aufkommenden Prozessrisiken der Tabakindustrie einkalkulierten.
Was jetzt zeitgeistig unter „Klimarisiken“ fungiert, sind Änderungen im Umfeld von Unternehmen wie es sie schon immer gab und immer geben wird. Der Umgang mit allen möglichen Risiken ist das tägliche Geschäft jeder Firma dieser Welt. Doch im Gegensatz zu kaum vorhersehbaren Brüchen wie der Covid-Krise, kommen klimabedingte Änderungen aller Voraussicht nach nicht unerwartet und plötzlich, sondern relativ berechenbar über Jahrzehnte. Damit lassen sie den Unternehmen Zeit für Anpassung und Reaktion. Der Faktor Zeit spielt im Risikomanagement eine entscheidende Rolle. Wer ihn vergisst oder verschleiert, trägt nicht zu einem adäquaten und seriösen Risikomanagement bei. Wer Klimarisiken priorisiert, stellt damit automatisch unmittelbarere Gefahren hinten an. Gefahren, die sich für die Stabilität des Finanzsystems und für Anlagekunden als gefährlicher erweisen können.
Vieles deutet darauf hin, dass die neuen Sorgen um „Klimarisiken“ weniger mit seriösem Risikomanagement, als mit Zeitgeist und Marketing zu tun haben. Wenn Banken mit fragwürdigen Modellen die Prognose von „Klimarisiken“ anpreisen, ist das so legitim, wie die Muotathaler Wetterprognosen. Wer alles glaubt, ist selber schuld. Bedenklicher ist allerdings, wenn Aufsichtsbehörden, Zentralbanken und andere staatliche Institutionen mit solchen Konzepten operieren. Der Verdacht drängt sich auf, dass unter dem Deckmantel der Risikokontrolle politische Ziele verfolgt werden, ohne sie demokratisch zu legitimieren. Denn viele der mit „Klimarisiken“ begründeten Empfehlungen, Vorschriften und Restriktionen werden in ihrer effektiven Wirkung bestimmten Unternehmen und Branchen zum Beispiel den Zugang zu Kapital erschweren und verteuern und andere Sektoren verdeckt und intransparent fördern.
Seien Sie auf der Hut, wenn ihr Anlageberater plötzlich von „Klimarisiken“ spricht. Bei genauerem Hinschauen könnte das für Sie nicht nur zusätzliche Gebühren und Kosten, sondern auch höhere Risiken mit sich bringen. Dass mit der Crédit Suisse ein Institut einging, das „Klimarisiken“ besonders viel Aufmerksamkeit schenkte, dürfte nicht nur Zufall sein. Hätte sie ihre Managementkapazitäten vermehrt auf die Erkennung traditioneller Bankrisiken gerichtet, würde sie vielleicht noch leben. Auch die Silicon Valley Bank wäre kaum untergegangen, wenn sie ihre Zinsrisiken so pflichtbewusst wie die „Klimarisiken“ kontrolliert und bewirtschaftet hätte.
Kluge Anleger schützen sich vor Klimarisiken aller Art genauso wie vor Pandemien, Schuldenkrisen, Kriegen, Cyberattacken, Inflation und allen anderen bekannten und unbekannten Gefahren: Mit echter Diversifikation, nicht mit überkomplexen, unerprobten, undurchsichtigen und fehleranfälligen Modellen.