Der Advocatus Diaboli schützt vor Fehlentscheiden. Das gilt auch für die Finanzindustrie. Experten, die ihre Prognosen und Empfehlungen allzu selbstsicher präsentieren, sollten Sie misstrauen.
Erinnern Sie sich? In der ersten Phase von Corona gab es viele, die von einer hohen Wirksamkeit von Masken und ihrer weitgehenden Unbedenklichkeit überzeugt waren. In ihrer Haltung fühlten sie sich durch Experten, durch Studien, durch Anekdoten und persönliche Erfahrungen immer mehr bestätigt und bestärkt.
Erinnern Sie sich? In der ersten Phase von Corona gab es viele, welche die breite Verwendung von Masken nicht nur für nutzlos, sondern kontraproduktiv hielten, und die vor schädlichen Auswirkungen auf Gesundheit und Psyche warnten. In ihrer Haltung fühlten sie sich durch Experten, durch Studien, durch Anekdoten und persönliche Erfahrungen immer mehr bestätigt und bestärkt.
Auch wenn wir bis heute vieles nicht wissen, soviel ist klar: Alle, die sich in ihrem Urteil damals ganz sicher waren, irrten in wesentlichen Punkten. Jene, die ihre Theorien – in welche Richtung auch immer – besonders laut und selbstsicher vertraten, hatten meist wichtige Aspekte übersehen. Hätten sie sich den Argumenten ihrer Kritiker nicht so vehement verschlossen, wären sie zu demütigeren Einschätzungen und differenzierten Empfehlungen gekommen. Manche politische Entscheide wären vermutlich sachgerechter ausgefallen.
Weil sie viel zu wissen glauben, neigen insbesondere Experten dazu, ihre eigene Weisheit zu überschätzen und kritische Einwände leichtfertig abzutun und zu ignorieren. Auch in der Wirtschaftswelt. So hielten nach der Finanzkrise namhafte Ökonomen steigende Inflationsraten für so gut wie sicher. Begründete Gegenargumente blendeten sie aus. Mit ihren Prognosen lagen sie über viele Jahre falsch. Namhafte Kritiker, die substantielle Inflation auf absehbare Zeit für so gut wie unmöglich hielten, machten sich über die warnenden Stimmen deshalb lustig. Bis der Inflationsschub 2022 auch jene selbstgerechten Autoritäten brutal widerlegte. Mehr Respekt vor kritischen Stimmen hätte beide Seiten vorsichtiger gemacht und möglicherweise folgenschwere geldpolitische Fehlentscheide vermieden.
Aktienpreise, Zins- und Währungsbewegungen sind Ausdruck der Prognosen der Marktteilnehmer. Bewegen sich die Preise in eine unerwartete Richtung, neigen viele Finanzexperten dazu, die Märkte, also andere Akteure, als irrational zu erklären. Das das ist anmassend und dumm. Jede Marktbewegung, die unserer eigenen Analyse und Einschätzung widerspricht, warnt uns, dass es da draussen möglicherweise bessere Argumente und Prognosen als unsere eigenen gibt. Wir sollten sie dankbar zur Kenntnis nehmen, statt sie zu ignorieren.
Seien es Maskeneuphoriker oder Maskenpessimisten, seien es Inflations- oder Deflationstheoretiker, seien es Crash-Propheten oder Berufsoptimisten an den Aktienmärkten, seien es Anhänger oder Gegner irgend einer Ansicht, Prognose oder Theorie: Die einseitige und selektive Wahrnehmung verfügbarer Fakten und deren voreingenommene Interpretation ist ein zu tiefst menschliches Problem, dem wir alle leicht erliegen. Der Teufel beschreibt diesen sogenannten „confirmation bias“ so:
„The tendency of the human mind to seek and favor evidence supporting a pre-existing belief and to discount, ignore, or reject information undermining that belief. As the poet Ogden Nash wrote, a mind that is already made up is like a door that can only open outward, so ‚the only result of the pressure of facts upon it is to close it more snugly‘.
Confirmation bias is so universal and insidious that investors must force themselves,(…) to seek out and consider evidence indicating that their judgments could be wrong. Otherwise, investors will remain trapped in the echo chambers of their own minds, which ring forever with the words I am right, and everyone else is wrong.
You are probably telling yourself as you read this that you do not suffer from confirmation bias. Could your certainty be evidence that, in fact, you do?“
Wie wirkt man der gefährlichen Wahrnehmungsverzerrung entgegen? Die katholische Kirche kennt den Advocatus Diaboli in der Heiligsprechung. Seine Aufgabe ist, die heiligen Argumente anzufechten und Gegenargumente einzubringen, scheinen sie auch noch so teuflisch. Das rechtsstaatliche Strafrecht kennt den Pflichtverteidiger. Solche institutionalisierten Störenfriede schützen Entscheidungsträger vor der Ausblendung unbequemer Fakten, Ungereimtheiten und Fragen. Sie tragen massgeblich zur Verhinderung von Fehlentscheiden bei.
Auch jeder seriöse Anlageentscheid setzt eine Kontroverse voraus. Ein Advocatus Diaboli wäre eigentlich Pflicht. Denn an den Finanzmärkten gilt noch mehr als anderswo: Es gibt keine Prognose ohne teuflisch gute Gegenargumente, keine fundierte Meinung ohne fundierten Widerspruch. Leider bestätigen sich auch bei Banken und Vermögensverwaltern viele Verantwortliche in ihrer Meinung lieber gegenseitig, als sich kritisch zu hinterfragen. Das ist bequemer und gibt ein gutes Gefühl.
Experten, die ihre Prognosen und Empfehlungen allzu selbstsicher präsentieren, sollten Sie deshalb misstrauen. Meist früher als später irren sie. Je überzeugter, desto schlimmer.